Female Rap Revolution
Jahrzehntelang waren Frauen in der Deutschrap-Szene – bis auf wenige Ausnahmen – bestenfalls geduldet. Heute dominieren Künstlerinnen wie Juju und Shirin David die Charts. Die Geschichte einer Emanzipation.

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Magazin 02 / 2024
online veröffentlicht
20 November 2025
Als Shirin David im Sommer ihren neuen Song „Bauch Beine Po“ veröffentlicht, sorgt sie damit im Internet einmal mehr für Aufregung. Der Track steigt wenig später auf Platz 1 der Charts ein, obwohl oder gerade weil Text und Video kontrovers diskutiert werden. Ich bin kein Fan von der Aussage des Songs, trotzdem freue ich mich. So eine inhaltliche Diskussion über eine Deutschrapperin hätte es niemals gegeben, als ich noch ein Teenager war. Auch, weil keine rappende Frau so viel Raum in der Öffentlichkeit einnehmen durfte.
Die ersten deutschen Rapsongs, die ich bewusst wahrnehme, sind „Die Da?!" von den Fantastischen Vier und „Jein“ von Fettes Brot. Schon als sehr kleines Kind lerne ich: Rap dreht sich um Frauen, selbst mitmachen dürfen sie aber nur in Ausnahmefällen. Tic Tac Toe sind in den 1990er Jahren meine absoluten Heldinnen. Die dürfen rappen, in Songs wie „Ruhrpottn****z“ sogar deutlich härter als das, was in der damaligen Deutschrap-Ära aus Stuttgart, München oder Hamburg kommt. Nur ernstgenommen werden sie in Hip-Hop-Deutschland nicht. Zu poppig, zu sehr für eine offensichtlich weibliche, junge Zielgruppe gecastet.
Schwester S aus Frankfurt ist eine Art Blueprint für die furchtlose, eher burschikose Frau, die von ihrem primär männlichen Umfeld nicht nur respektiert, sondern ganz aktiv gefördert wird – was sie real macht. Als Sabrina Setlur, mittlerweile unter eigenem Namen, „Du liebst mich nicht“ veröffentlicht und als erste deutsche Rapperin Platz eins der Single-Charts erreicht, wirkt das für mich wie eine Offenbarung.

"Hat sich in der Branche selbst also wirklich etwas geändert? Haben Männer umgedacht? Oder haben sich Frauen nicht viel eher in eine Position gebracht, in der sie durch ihre selbst aufgebaute Fanbase - sei es nun über eine Karriere als Influencerin oder nicht - Raum und Respekt erzwungen haben?"
Später geht sie mit Michael Jackson, Jay-Z und den Fugees auf Tour. Aus heutiger Sicht frage ich mich: Wie zur Hölle kann es sein, dass das nicht der Beginn einer weiblichen Revolution im Deutschrap war?
Deutschrap befindet sich in den frühen 2000er Jahren in einer Phase,
in der Berlin sich langsam aber sicher in den Fokus kämpft. Musikfernsehen
ist neben Zufallsfunden im Plattenladen damals mein einziger Weg, um an neue Musik zu kommen, und „Haus und Boot“ von Kool Savas und Valezka läuft auf MTV rauf und runter. Dieser Song ist nicht der erste, aber einer der ersten von vielen, der eine neue Geschlechterdynamik in Rap- Deutschland zu etablieren scheint: Frauen dürfen dabei sein, aber bitte nur, um den Song eines bekannten oder bekannter werdenden Mannes aufzuwerten – idealerweise als Sängerinnen. Selbst Melbeatz, die für US-Legenden wie Kanye West und Mobb Deep produzierte, ist für viele vor allem „die Ex-Freundin von Kool Savas“.
Irgendwann fällt mir auf, dass ich kaum noch Frauen höre, nur Männer, die über Frauen reden. Meine Lebensrealität findet in meiner Musik nicht statt.
Bushido signt Ende der 2000er Jahre mit Bahar zwar die erste Rapperin auf seinem Label Ersguterjunge, ein eigenes Album darf sie aber nicht heraus- bringen. Aggro Berlin schicken ihr erstes weibliches Signing Kitty Kat mit sexy-verrauchter Stimme von einem sexualisierten Feature-Part zum nächsten und setzen sie parallel unter Druck, auf gar keinen Fall öffentlich zu machen, wie sie aussieht. Drei Jahre geht das so. Als Kat endlich ihr Gesicht in eine Kamera halten darf, wird sie öffentlich gedemütigt: Nicht heiß genug, befinden männliche Rap-Fans und leben sich in Hasskommentaren unter ihren Videos aus.
Genau dieses Internet ist es aber auch, das mir endlich Zugang zu Künstlerinnen ermöglicht. Stundenlang wühle ich mich durch YouTube-Videos und stoße zum ersten Mal auf Rapperinnen wie Fiva oder Pyranja. Alben von und mit She-Raw liefen bei mir schon seit Jahren im Discman, jetzt sehe ich zum ersten Mal eines ihrer Musikvideos.
Und nicht nur mir als Fan eröffnen sich ganz neue Möglichkeiten. Für Öffentlichkeit brauchen Musikerinnen jetzt nicht mehr zwingend einen männlichen Gönner oder Musiksender, die das Video zur Single spielen. Über Myspace veröffentlichen Nachwuchskünstlerinnen wie Queen Sy oder Lumaraa ihre Tracks einfach selbst. Online-Competitions wie die Videobattle-Turniere machen in den 2010er Jahren auch Battle-Rap weiblicher. Die offen lesbische ÉSMaticx, die heute den Künstlerinnennamen ÉASY trägt, beendet einen ihrer gefeiertsten Parts so frauenspezifisch, dass mir – ganz kitschig – das Herz aufgeht: In der Regel besiege
ich jeden, ich habe gerade meine Tage.
Ich habe damals das Gefühl, dass sich endlich Kontinentalplatten verschieben. Sexistische Scheiße müssen sich Frauen in der Szene trotzdem noch anhören. „Frauenrap“ bleibt ein Schimpfwort.
Die Vorwürfe, die ich damals lese und höre, sind immer die gleichen. Frauen sollen lieber singen. Frauen haben einfach nicht so gute Rap-Stimmen, müssen deswegen ihre Stimmen verstellen und das nervt. Frauen sind nicht hart. Frauen sind nur dabei, weil sie die männlichen Rapper heiß finden. Heute denke ich, dass im Kern eine Frage stand, die selbst einigen Hardcore-Deutschrap-Fans zu misogyn war, um sie offen zu formulieren: Rap ist Storytelling – aber warum sollte ich zuhören wollen, wenn eine Frau mir etwas erzählen möchte? Was hat die schon zu sagen?

Vieles. Und überhören lässt sich das nun nicht mehr. Schwesta Ewa erfindet Straßenrap für Frauen neu. Juju und Nura von SXTN sprengen mit ihrem Asozialisierungsprogramm ab 2016 die Vorstellung davon, wie provokant und trotzdem für
die Massen anschlussfähig weiblicher Rap sein kann. Auf YouTube bringen sich derweil Künstlerinnen wie Loredana und Shirin David in Stellung und nutzen ihre selbstaufgebaute Reichweite für Label-Deals und aufwändig produzierte Musikvideos. Shirin David ist mittlerweile die erfolgreichste Deutschrapperin aller Zeiten. Katja Krasavice wird nach Jahren als Influencer-Skandalnudel zu einer Vor- reiterin des weiblichen Pornorap und hat seit 2020 vier Nummer-Eins-Alben veröffentlicht. Meine persönliche Favoritin Badmómzjay rappt seit ihren Teenager-Jahren alles und jeden an die Wand, wofür sie von Kool Savas 2023 in einer Instagram-Story offiziell zur „Queen of Rap“ gekürt wurde.
Heute ist vieles anders – auch weil es sich verkauft. Trotzdem ist nicht
alles gut. Es gibt immer noch Frauen, die anderen Frauen nicht die Hand reichen, weil sie glauben, dass nur Platz für eine ist. Männliche Deutschrapper, die niemals öffentlich zugeben würden, dass sie ihre Songs von Frauen schreiben lassen. Immer noch ist eine der schlimmstmöglichen Beleidigungen für einen Mann im Deutschrap, mit einer Frau verglichen zu werden. Nachwuchskünstlerinnen berichten
nach wie vor davon, sexuell übergriffige Nachrichten und Angebote von Männern in Machtpositionen zu bekommen.
Hat sich in der Branche selbst also wirklich etwas geändert? Haben Männer umgedacht? Oder haben sich Frauen nicht viel eher in eine Position gebracht, in der sie durch ihre selbst aufgebaute Fanbase – sei es nun über eine Karriere als Influencerin oder nicht – Raum und Respekt erzwungen haben? Oder um es in den Worten von Queen Latifah zu sagen:
I punched him dead in his eye and said ‘Who you callin’ a bitch?’

































