Für den Toningenieur und Musikproduzenten Moses Schneider geht im Tonstudio nichts über die Live-Aufnahme. Mit seinem Produktionsstil hat er unter anderem den Beatsteaks, Tocotronic und Dendemann zu Charterfolgen verholfen. Dabei hat anfangs kaum jemand an seinen unkonventionellen Ansatz geglaubt.
Popmusik als Inspiration: Moses Schneider
Beatsteaks auf Platz 11!
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Polaroid von
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Magazin 01 / 2023
Online Veröffentlicht
11 April 2024
Moses Schneider
Ich erinnere mich noch genau an den Moment in den Berliner Hansa Studios im Jahr 1987. Die Band hieß Crime & the City Solution, eine Indie-Band aus Australien. Sie haben gemeinsam Musik gemacht, in einem Raum. In den 1980ern war das verpönt. Da wurde alles nacheinander eingespielt, mit Clicktrack. Alles Menschliche sollte rausgehalten werden aus der Musik. Diese Live-Situation im Studio war genau der Gegenentwurf dazu. Und da wusste ich: Ich will nur noch das machen.
Danach habe ich meine ganze Arbeit darauf ausgelegt, Bands live aufzunehmen. Das Besondere an dieser Art der Tonaufnahme ist, dass man die Kontrolle ein Stück weit abgibt. Wenn fünf Leute gemeinsam in einem Raum stehen und ihre Songs live einspielen, hast du keine Kontrolle mehr darüber, was passiert. Aber es gibt Synergien. Den Moment, in dem alle das Gleiche fühlen. Und wenn man schlau genug war oder Glück hatte, hat man diesen Moment aufgenommen. Das sind Sachen, die beim Nacheinander-Aufnehmen nicht passieren.
Viele Produzent:innen haben Angst vor diesem Kontrollverlust. Sich auf andere Menschen zu verlassen, fällt vielen Leuten schwerer, als sich auf ihren Computer zu verlassen. Bei Live-Aufnahmen gibt es immer ein gewisses Risiko. Eine Angst vor dem Faktor Mensch. Dem Unperfekten. Eine Live-Aufnahme ist wie ein Polaroid. Das sieht immer gut aus, weil alle in die Kamera gucken und lachen, weil jeder weiß: Es gibt nur diese eine Chance.
In den 1990ern hat Warner zu mir gesagt, dass ich ihr Hobby wäre. Mit anderen Produzent:innen und Bands würden sie Geld verdienen. Ich wäre eher das Steuerabschreibungsprojekt. Da würden zwar lustige Musiken passieren, in die Charts würden diese aber auf keinen Fall gehen. Und dann kamen 2004 die Beatsteaks.
Bild: Albumcover von Smack Smash, Beatsteaks, 2004
Arnim Teutoburg-Weiß, Bernd Kurtzke, Peter Baumann, Torsten Scholz und Thomas Götz hatten schon drei Platten veröffentlicht, auf Indie-Basis. Sie sprachen mich damals an, weil sie auf ihren Platten nie so klingen würden, wie sie live klingen. Ich hatte schon mit anderen Punk-Bands gearbeitet und es hatte sich rumgesprochen: „Da gibt es jemanden in Berlin, der macht Live-Aufnahmen.“ Also haben wir uns getroffen und die Wohnzimmer-EP mit Coversongs aufgenommen, um zu checken, ob es überhaupt für die Band Sinn macht. Und es hat natürlich Sinn gemacht.
Also sind wir auf Studiotour gegangen. Es sollte sein wie live auf Tour. Wir waren immer für fünf Tage in jeweils einem Studio und haben das Album komplett aufgenommen. Nach zwei mal fünf Tagen war klar: Diesen Song müssen wir nie wieder aufnehmen. Smack Smash war fertig. MTV-Chefmoderator Markus Kavka sagte damals über das Album: „Ich scheue mich nicht, zu sagen, dass mit diesem Album die Beatsteaks endlich zu den verdienten Superstars werden, die sie schon lange hätten sein müssen.“
Die Platte kam raus und war direkt auf Platz 11 der Charts, Top 20! Das war ein Karriereschritt für die Band – und für mich. Plötzlich gehörten die Beatsteaks zu den kommerziell erfolgreichsten Punkrockbands Deutschlands. Mittlerweile sind sie Teil deutscher Popgeschichte und Gegenwart. Ihre Geschichte zeigt, dass es sich eben auch lohnen kann, drei Alben lang auf den großen Durchbruch zu warten. Und dass genau diese ehrlichsten Studio-Momente auf eine Platte gehören, mit allen Ecken und schroffen Tönen. Der Mut, ehrlich zu sein, statt perfekt.
Plötzlich war nämlich klar: Auch mit Live-Aufnahmen kann man in die Charts gehen. Danach kamen Tocotronic. Aber ich habe auch versucht, das Genre zu erweitern. Mit Dendemann habe ich Vom Vintage verweht aufgenommen. Mit Kreator Hordes of Chaos. Nach diesen Alben war klar: Man kann von Metal über Hip Hop alles live aufnehmen.
Mir geht es heute vor allem darum, dass dieses Handwerk und das Wissen über elektroakustische Aufnahmen nicht ausstirbt. Die meisten arbeiten heute mit Samples. Da steht zwar Schlagzeug drauf. Dass das aber mal mit einem Mikrofon aufgenommen wurde, ist für viele Menschen nicht mehr relevant. Da bin ich sowas wie der Wagenradmacher mit meiner alten Technik. Diese wird aussterben. Gerade deshalb möchte ich noch so viel Wissen wie möglich an junge Menschen weitergeben.
Die Zeiten haben sich geändert. Heute ist es mutig, zu sagen: Ich möchte mit Musik Geld verdienen. Weil es kaum noch Proberäume in den Innenstädten gibt. Alles, was mit Lautstärke zu tun hat, wird nach außen gedrängt. Hinzu kommt dieses völlig verzerrte Bild, das Leute von Musiker:innen haben. „Du bist Musiker:in? Du lebst deinen Traum!“ Dabei steht man hinter der Bar und verdient 3,50 Euro die Stunde. Brotlose Kunst, das sind alles Wörter, die man damit verbindet. Man ist als selbstständige:r Musiker:in kaum abgesichert, obwohl wir Steuern zahlen wie alle anderen. Das sind strukturelle Probleme, die sich mit Mut allein nicht ändern lassen.
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© 2004 Epitaph Europe