Wie soll man sich gegen seine Eltern auflehnen, wenn diese den Traum leben, den man selbst verfolgt? Jenniffer Kae hat sich nach einer kurzen Teenage-Rebellion zum Glück damit abgefunden, dass Singen und Songs schreiben ihre Berufung ist. Und ihre Mutter ihr größtes Vorbild.
Popmusik als Inspiration: Jenniffer Kae
„Wir können nicht immer
,Up! Up! Up!’
sein“
Text von
Polaroid von
Print Ausgabe
Magazin 01 / 2023
Online Veröffentlicht
12 Juli 2024
Bild: Mutter von Jennifer Kae
Jennifer Kae
Ich komme aus einer Musiker:innenfamilie: Meine Schwester singt, mein Vater hat Klavier gespielt und meine Mutter hat als Sängerin alles Mögliche gemacht. Sie ist mit 15 mit ihrer philippinischen Mädchenband ausgewandert, war in den USA auf Tour und ist schließlich nach Deutschland gekommen. Dort bekam sie mich und führte für eine Weile ein häusliches Leben.
Aber sie konnte so nicht leben. Sie sagte sich: „Das ist es nicht. Dieser Mann will, dass ich was Anständiges mache. Aber ich bin Sängerin!“ Also trennte sie sich von ihrem ersten Ehemann, meinem leiblichen Vater, und entschied sich für die Musik. Ich glaube, er hat total verkannt, dass sie gar nicht anders konnte. Sie baute sich eine neue Band auf und nahm in den Neunzigern an einer der ersten Castingshows im deutschen Fernsehen teil. Dadurch wurden Studiomusiker:innen auf sie aufmerksam.
Es war die goldene Zeit von Eurodance. Die Songs funktionierten damals meistens über männlich Rapper und Schwarze Frauen, die im Chorus die Vocals einsangen. Diese PoC-Studiosängerinnen waren medial allerdings kaum sichtbar. Es war üblich, dass sie in Musikvideos, auf Bildern und Bühnen durch Frauen ersetzt wurden, die dem damaligen Schönheitsideal besser entsprachen und meistens weiß waren. Meine Mutter war zwar Philippinerin, ihre Stimme war jedoch stark vom Soul geprägt. Sie hat für viele Rapper die Chorusse eingesungen, für DJ Bobo, Scatman und C-Block. Jeder kennt wahrscheinlich die Stimme meiner Mutter aus irgendeinem Eurodance-Hit. Sie selber hat von dem Ruhm allerdings wenig abbekommen – wie so viele Sängerinnen damals.
Wahrscheinlich hat sie nicht in das Format eines Popstars gepasst. Für Asiatinnen gab es damals kaum Repräsentation. Das hat sich mittlerweile geändert, K-Pop ist riesig, es gibt internationale Fernsehserien, bei denen asiatische Familien im Zentrum stehen. Das freut mich total – auch wenn das in Deutschland noch nicht so richtig angekommen ist. Ich habe das Gefühl, dass es ein Stück weit meine Legacy ist, das Vermächtnis meiner Mutter zu ehren und weiterzuführen. Für mich war immer klar: Wenn ich das mit der Musik mache, werde ich, wie sie, mein Bestes geben, um sichtbar und hörbar zu sein.
Ich habe die Kämpfe mitbekommen, die meine Mutter damals mit bestimmten Produzenten ausgefochten hat. Sie ist bis vor Gericht gezogen und hat gesagt: „Ihr spielt meine Stimme in ganz Europa und mein Name steht nicht mal in den Credits!“ Das hat zu der Zeit kaum jemanden interessiert. Aber sie hat sich gewehrt. Deswegen habe ich auch so ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsgefühl. Ich habe gelernt, die Credits zu checken und vor jeder Session klare Absprachen zu treffen.
Meine Mama ist ein Riesenvorbild für mich. Sie war nie heiß auf den Fame. Sie hat auf dem Dorfplatz eines 300-Seelen-Dorfs genau den gleichen Soul, genau die gleiche Energie gebracht wie auf den großen Bühnen. Sie hatte eine Tina-Turner-Coverband, mit der wir unser ganzes Leben lang zusammen unterwegs waren. Und obwohl sie gemeinsam mit der Band 30 Jahre die gleichen Songs gespielt hat, hat sie immer alles gegeben. Für sie gab es nur an oder aus. Mit dieser Determination hat sie sich Türen geöffnet – und ein Stück weit auch meiner Schwester und mir.
Meinen unbedingten Freiheitsdrang habe ich von meiner Mutter geerbt. Manchmal bedeutet Freiheit aber auch, Projekte abzusagen, auszusteigen, sich eine Pause zu gönnen. Das hab ich nach meinem letzten Album gemacht. Ich bin bei vielen großen Projekten aktiv ausgestiegen und habe mir das Versprechen gegeben, erst wieder zur Musik zurückzukommen, wenn die Kraft und Inspiration wieder da ist. Und nicht wegen eines Drucks von außen.
Mut bedeutet auch, sich eine Pause zu gönnen. Auch wenn dir die Algorithmen, die Wirtschaft und die Gesellschaft suggerieren: Du musst dich ständig beweisen, verkaufen und trommeln. Daran glaube ich nicht. Weil ich gemerkt habe: In dem Moment, als ich regeneriert war und mein Kompass wieder klar war, ging es auch weiter. Vorher hatte ich Angst, dass eine Pause der Karrieresuizid ist. Aber es war nicht so.
Leute wissen das sogar zu schätzen. Weil da, wo du durchatmen kannst, auch für die anderen im Raum mehr Sauerstoff verfügbar wird. Wir können nicht immer „Up! Up! Up!“ sein und unsere Downs im geheimen, stillen Kämmerlein erleben. Die Musikbranche ist ein Ökosystem, in dem wir einander brauchen. In dem alle voneinander abhängig sind. Dazu brauchen wir gesunde, inspirierte Artists, die sich wohlfühlen in ihrem Ökosystem. Dass alle miteinander in Balance sind, das wäre ein Umdenken, in dem ich großes Potenzial sehe.
Bildnachweise
Bild: Archiv von Jenniffer Kae