Sonya hat vor Kurzem ihre erste Single „Feels so Fine“ herausgebracht – mit 53 Jahren. Damit will die Sängerin, Songwriterin und Produzentin auch zeigen: Es ist nie zu spät, um sich selbst nochmal neu zu erfinden. Und sie will das Vorbild sein, das ihr selbst in der Popwelt immer noch fehlt.
Popmusik als Inspiration: SONYA
Menschen, in denen wir uns erkennen dürfen
Text von
Polaroid von
Print Ausgabe
Magazin 01 / 2023
Online Veröffentlicht
26 August 2024
Bild: Christine and the Queens
SONYA
Ich bin Newcomerin in der Popmusik. Ich habe erst mit 50 angefangen, Musik für mich selbst zu machen. Es war ein Prozess, ich habe viel mit mir gerungen. Mit über 50 in der Popmusik erstmals in Erscheinung zu treten, schien mir absurd, weil es keine Vorbilder dafür gibt. Entweder du bist jung und wirst gesigned. Oder du wurdest jung gesigned und bist heute erfolgreich. Dann darfst du auch älter werden in der Popwelt.
Meine Musik ist stark von den 1980ern geprägt. Ich liebe Howard Jones, Nik Kershaw, aber auch Acts wie Christine and the Queens, The 1975, Haim, Sigrid oder Phoenix. Und natürlich bewundere ich Madonna. Sie war immer laut und rebellisch. Sie hat sich gewehrt. Und das macht sie heute noch. Madonna polarisiert. Es ist ihr scheißegal, was andere denken.
Trotzdem würde ich Madonna nicht als mein Vorbild bezeichnen. Vor allem wegen der Art, wie sie mit dem Altern umgeht. Natürlich muss das jede für sich entscheiden. Aber dieser Trend, mit Schönheitsoperationen der ewigen Jugend hinterherzurennen, das finde ich wenig inspirierend. Klar stehe ich auch nicht jeden Tag vor dem Spiegel und sage: „Älter werden ist so toll!“ Wir wollen alle schön aussehen. Aber ich finde es traurig, dass Schönheit in unserer Gesellschaft so eng definiert ist.
Bild: Madonna
Wer mich deshalb total inspiriert, ist Ashley Graham. Sie war eines der ersten Curvy Models, das auf der New York Fashion Week in Dessous über den Laufsteg lief. Sie hat der Modewelt gezeigt, dass Schönheit nicht an eine Kleidergröße gekoppelt ist. Damals hieß es: „Oh mein Gott, eine dicke Frau auf dem Laufsteg! In Unterwäsche! Unglaublich.“ Sechs Jahre später sehen wir überall Frauen, die nicht mehr nur diesem einen Schönheitsideal entsprechen, sondern Frauen, in denen wir uns erkennen dürfen. Und genau das wünsche ich mir mit dem Altersthema in der Musikbranche.
Als ich jung war, habe ich als Background-Sängerin gearbeitet, beispielsweise für Lisa Stansfield oder Paul Young. Aber ich habe mich selbst nie als Künstlerin betrachtet. Ich hätte nie gesagt: „Ich muss da vorne stehen, weil ich etwas habe, das ich unbedingt nach draußen transportieren muss.“ Das ist jetzt ganz anders. Während der Pandemie hatte ich plötzlich Musik im Kopf, manchmal ganze Songs, fertige Arrangements. Ich habe mich mit meinem Partner hingesetzt und angefangen zu recorden. Ich habe lange mit mir gekämpft, bis ich mich getraut habe, meine Musik Leuten zu zeigen. Ich dachte: „Ich bin 50 – ich kann doch keine Single rausbringen!“ Ich hatte höllische Angst vor der Beurteilung. Davor, belächelt zu werden. Diese Glaubenssätze, dass Frauen ein vermeintliches Haltbarkeitsdatum haben, das mit Mitte 20 anfängt abzulaufen, sind tief in uns allen verankert. Ich wusste nicht, ob ich stark genug bin, auszuhalten, was mir entgegenschlagen würde.
Anfangs wollte ich mir deshalb eine Maske aufsetzen, wie Sia oder Cro. Ich wollte mich verbergen. Durch Gespräche mit vielen tollen Frauen habe ich verstanden, dass ich mich zeigen muss. Gerade weil uns Frauen zu oft gesagt wird, dass wir uns ab einem bestimmten Alter nicht mehr zeigen dürfen und keine Relevanz mehr haben.
Deshalb verschweigen ja in der Musikbranche viele ihr Alter. Wenn du es mit 30 nicht geschafft hast, dann ist es vermeintlich vorbei. Ich kriege so viel positives Feedback, gerade von jungen Frauen. Aber ich habe auch schmerzhafte Erfahrungen gemacht. Labels, die mir raten, eine junge Frau vorne auf die Bühne zu stellen, die meine Songs singt und mich als Songwriterin und Produzentin im Hintergrund zu halten oder mir sagen, ich solle in die Schlagerbranche gehen, da sei die Zielgruppe 50+. Da sei das Alter „kein Problem“. Mein Alter ist nicht das Problem. Diese Denkweise ist das Problem!
Ich finde die Annahme falsch, dass eine Frau mit Mitte 50 nur Musik für die Zielgruppe Mitte 50 macht. Musik ist altersübergreifend. Billie Eilish wird auch nicht nur von 20-Jährigen gehört. Nächsten Sommer gehe ich als Support-Act mit Lena auf Tour. Das freut mich besonders, weil man mir bisher abspricht, für eine jüngere Zielgruppe relevant zu sein. Ich möchte mich nicht in den viel zu engen Rahmen zwängen lassen, den man mir zuteilt. Da bin ich wieder bei Ashley Graham. Sie hat bestimmt auch tausendmal gehört: „Du hast ein wunderschönes Gesicht. Nimm mal 30 Kilo ab, vielleicht wird es dann was mit dem Modeln.“ Sie ist erfolgreich, weil sie das gerade nicht gemacht hat. Und das ist auch mein Plan.
Bild: ASHELY Graham
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