Popmusik als Inspiration: Johannes Oerding

Live spielen, live spielen, live spielen!

Polaroid: Johannes Oerding

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Magazin 01 / 2023

Online Veröffentlicht

16 Mai 2024

Man wird nicht als Künstler:in geboren, man wird es. Davon kann Johannes Oerding buchstäblich ein Lied singen. Die ersten 15 Jahre seiner Karriere begreift der Singer-Songwriter heute als Grundausbildung, um auf den ganzen großen Bühnen zu bestehen. Inspiriert hat ihn dabei ein ehemaliger britischer Straßenmusiker.

Bild: Felix Kummer von der Band Kraftklub
Bild: Felix Kummer von der Band Kraftklub

 

Johannes Oerding

Wenn ich mir meine eigene Reise anschaue, habe ich alles auf eine Karte gesetzt. Als Dorfjunge mit 18, 19 Jahren zu sagen: „Ich gehe in die Welt hinaus und versuche es mit der Musik!“ Das war ein großer Move für mich. Mit nichts in der Tasche, außer einer Gitarre und ein paar guten Ideen für Songs loszuziehen, um mit möglichst verschiedenen Menschen auf möglichst verschiedenen Bühnen zu spielen. Genau das würde ich allen Künstler:innen raten, die am Anfang ihrer Karriere stehen: live spielen, live spielen, live spielen!

Einer, der diesen Weg gegangen ist, ist Ed Sheeran. Er hat als Straßenmusiker angefangen und eichhörnchenmäßig die Leute eingesammelt und von sich überzeugt. Mittlerweile spielt er die größten Hallen der Welt – und steht immer noch mit seiner kleinen Loop-Station da oben. Ich habe Ed Sheeran 2006 auf dem allerersten Reeperbahn Festival in Hamburg live gesehen, da hat er im Gruenspan vor 600 Leuten gespielt. Und schon damals wusste man: Der hat eine solche Leidenschaft für das, was er macht. Aber – wie das Wort schon sagt – dafür muss man eben auch manchmal leiden und die Ochsentour machen.

Ich bin mit meiner ersten Platte drei Jahre lang auf Tour gewesen und war als Support-Act bei allen möglichen Künstler:innen dabei: Simply Red, Joe Cocker, Ich + Ich, Die Söhne Mannheims, Stefanie Heinzmann, Nevio Passaro. Ich habe alle Bühnen genutzt. Diese Zeit war wie eine musikalische Ausbildung für mich, die wahrscheinlich nie abgeschlossen ist. Die Zusammenarbeit mit anderen Menschen inspiriert mich sehr. Weil du von Menschen lernst, die talentierter sind als du. Von Menschen, die schon mehr gesehen haben als du.

Auf meiner eigenen Karrierereise haben mich meine Produzenten Mark Smith und Sven Bünger geformt. Der eine hat sich eher um meine musikalische Entwicklung gekümmert, der andere hat sich Zeit für das Inhaltliche genommen. Ich weiß noch, dass er mir einen Stapel mit deutschsprachigen CDs hingestellt hat, von den Prinzen bis zu Gangster-Rap. Damit ich verstehe, wie vielfältig die Themen sind. Wie bunt das ist, was die Menschen bedrückt oder begeistert.

Bild: Roland Kaiser
Bild: Roland Kaiser

 

Für mich sind Musiker:innen Vorbilder, die mit ihrer Musik bewusst Risiken in Kauf nehmen. Die eine Haltung haben, auch in ihrer Kunst, und damit auf die Bühne gehen. Ich bewundere Bands wie Kraftklub. Oder Roland Kaiser. Menschen, die sich politisch äußern und sich der Sache verschreiben – wohlwissend, dass das Widerstände mit sich bringt. Shitstorms, Fans, die einen verlassen. Das finde ich mutig, wenn dir klar ist, dass deine Handlungen Konsequenzen haben und du sie trotzdem durchziehst.

Ich war früher nicht so politisch wie heute. Man entwickelt sich als Künstler:in, aber auch als Mensch. Ich habe mittlerweile ein größeres Bewusstsein dafür, was strukturell auch innerhalb der Musikbranche falsch läuft. Wie sehr Frauen immer noch unterrepräsentiert sind. Wie viele Genres, wie viele Kulturen. Mittlerweile nehme ich bewusst weibliche Support-Acts mit auf Tour. Darüber habe ich mir früher ehrlicherweise keine Gedanken gemacht und einfach geguckt: „Okay, wen kenn ich? Ach, den Kumpel von mir, den nehm ich mal mit.“

Heute achten wir mehr darauf: Welche Leute brauchen noch mehr Support oder ein größeres Sprachrohr – gerade von uns etablierten weißen Männern? Deshalb wollte ich auch unbedingt den Song „Stärker“ mit Zeynep Avci auf meinem Album haben. Nicht nur, weil ich Zeynep als Sängerin und Künstlerin so bewundere. Sondern auch, weil die Botschaft rüberkommen sollte: Wir müssen grenzüberschreitend Musik machen, genreübergreifend, sprachübergreifend, kulturübergreifend.

Die türkische und die deutsche Kultur sind seit 60 Jahren eng miteinander verknüpft. Trotzdem kannst du deutsch-türkische Duette an einer Hand abzählen. Das ist doch ein Unding! Es hat großen Spaß gemacht, gemeinsam diesen Song zu produzieren, mit ihren Einflüssen und meinen. Die eigene Bubble zu verlassen. So viele Leute sagen: „Wir verstehen zwar nicht, was Zeynep da singt. Aber dieser Schmerz in der Stimme, der ist unmissverständlich.“ Das ist ja das Tolle an Musik: Dass sie Emotionen überträgt, egal welche Sprache wir sprechen.

Bildnachweise

Bild 1: Kraftklub, LademannMedia/ Alamy Stock Photo
Bild 2: Roland Kaiser, United Archives GmbH/ Alamy Stock Photo